Dienstag, 29. Juni 2021

Wie man eine Kanzlerkandidatin zu zerstören versucht

Ich bin ja sehr bewusst nicht Mitglied einer Partei. Meine persönliche Idee von Politik ist halt mit den meisten Parteien nicht kompatibel. Allerdings kommen die Grünen dem noch am nächsten, was ich gerne erleben würde, bevor ich ans Ende meines Lebens komme. Ich fürchte aber, dass es sich nicht so entwickeln wird, wie es für uns gut wäre. Viel zu sehr ergehen sich Menschen in sturem Beharren auf einen Status Quo.

 

Das merkt man auch gerade am Wahlkampf. Was da in den letzten Wochen gegen die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ausgepackt wurde. Sie hat ihren Lebenslauf upgedated? Ist ja schrecklich. Außerdem hat sie Einkünfte zu spät gemeldet, obwohl sie sich nicht bereichert und nur den Fehler eines zu späten Meldens beging. Und angeblich soll sie auch keinen Studienabschluss haben.

 

Und jetzt hat sie auch noch ein Buch geschrieben und da angeblich abgeschrieben.

 

Nicht zu vergessen die Werbekampagne des INSM. Da werden Fake News an prominenter Stelle platziert, nur damit man gegen eine Partei und eine Person Stimmung macht. Während man an anderer Stelle alles tut, damit Fakten unterdrückt werden.

 

Wahlkampf im Kindergarten.

 

Ich hatte zumindest gehofft, dass das mal irgendjemanden auffällt. Und dass die Leute sich einen ablachen, wenn sie das sehen. Aber nein, man fängt an, das tatsächlich zu glauben. Vermutlich deswegen, weil man lieber nichts verändert. Ist bequemer.

 

Oh, hoppla, draußen sind Gewitter mit Starkregen, Überschwemmungen, heftigen Zerstörungen und Hagel?

 

Ist bloß Wetter. Hat nichts mit dem Klimawandel zu tun. Was kostet noch mal der BMW, den ich mir da neulich angeschaut habe?

 

Ich hatte gehofft, dass die Menschen das hinterfragen, was man über Baerbock liest. Die Medien haben es getan, mit etwas Medienkompetenz kann man da alles finden, was sie herausgefunden haben und was Annalena Baerbock entlastet. Aber es interessiert keinen.

 

Und damit geht sie zu Ende, unsere gute, alte Welt. Noch mal vier Jahre, und das dann auch noch unter einem inkompetenten Menschen wie Laschet, halten wir nicht aus. Erwachsene Menschen im Kindergartenmodus. Bloß nicht erwachsen werden, nichts dazulernen und schon gar nichts hinterfragen, auf keinen Fall das eigene Verhalten. Schadet der eigenen Bequemlichkeit.

 

Zum Thema Lebenslauf:

 

Ich habe auch einen online. Würde ich mich für das Amt des Bundeskanzlers bewerben, müsste ich den auch erst einmal updaten. Dass sie das tun muss, halte ich persönlich nicht für schlimm. Da macht man Dinge sehr viel größer, als sie eigentlich sein müssten.

 

Was hat sie genau gemacht? Sie hat in einer Sektion die Überschrift geändert. Sie lautet dort nun statt "Mitgliedschaften" nun "Beiräte, (Förder-)Mitgliedschaften, regelmäßige Unterstützung". Dazu hat sie besagte Mitgliedschaften konkretisiert. Sie hat aber nichts gelöscht, nichts weggelassen, nichts sinnentstellend verändert.

 

https://www.tagesschau.de/faktenfinder/baerbock-lebenslauf-101.html

 

Ihr Studienabschluss in London

 

Baerbock hat an der London School of Economics einen “Master of Laws” erworben. Es wurde angezweifelt, dass sie wirklich einen solchen Abschluss hat, weil man als Voraussetzung für einen solchen einen Bachelor benötigt, den sie nicht hat. Das wird von Annalena Baerbock aber auch nicht behauptet. Sie hat ein Vordiplom an der Universität Hamburg erworben, das als Voraussetzung absolut ausreichend ist. Das hat sogar die konservative FAZ bestätigt:

 

https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/hoersaal/annalena-baerbocks-studium-in-london-master-ohne-bachelor-17336848.html

 

Diese „Enthüllung“ hat der gleiche vorgebracht, der jetzt auch behauptet, ihr Buch wäre teilweise abgeschrieben. Sein Name? Stefan Weber. Normalerweise untersucht der hauptberuflich Studienabschlüsse wie Doktorarbeiten auf Plagiate. Es ist sein Beruf, genau dies zu tun und es ist meines Erachtens schon die Frage erlaubt, wer denn der Auftraggeber ist und warum er nun plötzlich nach Auffälligkeiten in Online-Lebensläufen und Büchern sucht.

 

Aber das ist halt das Problem. Frau Baerbock ist ein recht unbeschriebens Blatt, da muss man kreativ werden, wenn man mit Schlamm werfen möchte. Und da ist offensichtlich jedes Mittel Recht. Je konstruierter, desto besser. Zumal man eine große Zahl an Grünenhassern hat, die vermutlich mit ihren überzüchteten Boliden und SUV ins Bett gehen und deshalb eine junge, intelligente, attraktive Frau als Bedrohung sehen, die ihnen in so vielem überlegen ist.

 

Fragile Männlichkeit halt.

 

Und bei Laschet so? Der hat in seinem Lebenslauf auch geschlampert. Da war eine Eintragung, dass er im Direktorium zur Verleihung des Aachener Karlspreises sitzen würde. Tat er, aber nur bis 2020. Genau diese Versäumnisse wirft man Baerbock vor, bei Laschet ist es nicht mal einer Erwähnung wert?

 

Schlimmer finde ich persönlich ja, dass er seinen Einsatz als Dozent an der RWTH Aachen aus dem Lebenslauf einfach gelöscht hat. Da hat er nämlich mal Klausuren schreiben lassen. Sie sind ihm dann verloren gegangen und er hat die Noten für die Schüler einfach ausgewürfelt. Als man ihn erwischt hat, ist er schnell als Dozent ausgestiegen und hat die Episode aus seinem Lebenslauf getilgt. Das zeigt eine charakterliche Eigenschaft von Laschet und ist meines Erachtens schon was anderes als das, was die Änderungen im Lebenslauf von Baerbock zeigen.

 

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/armin-laschet-gab-offenbar-lehrtaetigkeit-im-lebenslauf-nicht-an-a-f3958c92-c7cb-433a-bc97-76dee9a60ba9

 

Eine andere Dimension ist der „Skandal“ um die verspätet gemeldeten Sonderzahlungen, die Baerbock zu verantworten hat. Da waren Zahlungen von ihrer eigenen Partei an sie geleistet worden, die sie über die Jahre 2018, 2019 und 2020 einfach vergessen hat, bei der Verwaltung des Bundestages anzugeben. Das ist ein Versäumnis, das man ihr schon vorwerfen kann. Immerhin geht es dabei um 25.000 Euro.

 

Allerdings muss man auch sagen, dass sie sich damit nicht bereichert hat. Es sind Zahlungen geflossen, die ihr tatsächlich zustanden und sogar versteuert hat sie sie korrekt. Sie hat lediglich erst vor kurzem eine entsprechende Meldung an die Verwaltung des Bundestages gemacht.

 

https://www.tagesspiegel.de/politik/verspaetete-meldung-von-nebeneinkuenften-baerbock-ist-den-eigenen-anspruechen-nicht-gerecht-geworden/27212020.html

 

Man kann das sicher diskutieren, aber ich muss schon sagen, dass ausgerechnet eine Partei, die immer noch einen Scheuer in ihren Reihen duldet, der Milliarden mit seiner Maut zum Fenster hinaus geworfen hat und auch eine von der Leyen nicht aus der Partei ausschließt, obwohl sie scheinbar ohne Millionenteure Berater keinen Schritt machen kann, da besser den Ball flachhalten würde. Ja, die Grünen möchten, dass sich hier Dinge ändern. Sie möchten, dass es transparenter wird, und sie hat einen Fehler gemacht.

 

Aber auch die Grünen sind nur eine Partei, die seit 40 Jahren dabei ist. Da sind auch nicht alle perfekt, da sind auch Menschen, die Fehler machen. Und wenn ein Herr Laschet Fehler in seiner Steuererklärung macht, ist das scheinbar keine größere Erwähnung wert? Frau Baerbock muss die Jungfrau von Orleans sein, perfekt und makellos, aber der im politischen Betrieb müde gewordene Herr Laschet, bei dem ist das was anderes?

 

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/armin-laschet-machte-fehler-bei-seiner-steuererklaerung-13652262.html

 

Wenn ihr das jemand vorwerfen will, bitte. Aber für mich ist das kein Grund. So lange Maut-Scheuer, die Karliczek die ihrem eigenen Wahlkreis Fördergelder zuschustert, Nestle-Klöckner und der Lobbyvertreter Altmaier weiter machen dürfen als Minister wohlgemerkt, darf sie gerne weiter Kanzlerkandidatin bleiben.

 

Und dann kam die Werbekampagne, finanziert von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Wer die nicht kennt, das ist kein Versäumnis. Man sollte sich aber mal damit beschäftigt haben, damit man das einordnen kann. Hier der Eintrag in der Lobbypedia dazu:

 

https://lobbypedia.de/wiki/Initiative_neue_soziale_marktwirtschaft

 

Sie wird von den Unternehmerverbänden der Metall- und Elektroindustrie (Gesamtmetall), zu der auch die Automobilindustrie gehört, finanziert. Und warum die jetzt wohl was gegen Frau Baerbock und die Grünen hat? Vielleicht ja, weil sie es irgendwie doof finden, dass sie die Umwelt nicht mehr so ungestört zerstören können, wenn sich die Regeln dank der Grünen ändern. Da machen wir doch einfach eine Kampagne gegen Baerbock. An Geld fehlt es nicht, da kann gerne eine Anzeige mit vielen unbegründeten Angriffen in allen möglichen großen, überregionalen Zeitungen und im Internet veröffentlicht werden.

 

In dem Zusammenhang finde ich im Übrigen vor allem das Verhalten der „Zeit“ befremdlich. Die hat keine Bedenken gehabt, eine Online-Kampagne der INSM gegen Baerbock auf ihrer Online-Seite darzustellen. Als aber eine Gegenanzeige mit einigen Wahrheiten über Herrn Laschet und das Wahlprogramm der CDU kommen sollte, wollten sie nicht. So kann man sich auch lächerlich machen.

 

https://www.campact.de/union/?utm_campaign=google-cpc-&utm_medium=adwords&utm_source=google-cpc&utm_content=adgroup-130773032384&source=goAD-&bucket=goAD-&gclid=CjwKCAjwieuGBhAsEiwA1Ly_nUaLUHn6cEJKfrYRgdwl61OOe0qD40QstOCmWxZL2pjCghF_f4lHRBoC_4IQAvD_BwE

 

Plagiatsvorwürfe

 

Und jetzt also die angeblich nicht zitierten, kopierten Abschnitte in ihrem neuen Buch. Frau Baerbock und die Grünen gehen gegen diese neuen Anschuldigungen juristisch vor. Aber das ist zumindest zweifelhaft. Eine Sprecherin des Ullstein Verlag, der das Buch veröffentlichte, sagt dazu: "Die Aufzählung von allgemein zugänglichen Fakten ist ebenso wenig urheberrechtlich geschützt wie einfache Formulierungen, mit denen solche Fakten transportiert werden" und weiter: "Wir können keine Urheberrechtsverletzung erkennen."

 

In Fachkreisen gibt es da teilweise mehrere Meinungen, aber Tatsache ist, dass Annalena Baerbock hier keine wissenschaftliche Veröffentlichung vorgelegt hat, sondern ein Sachbuch und in einem solchen ein Quellenverzeichnis nicht zwingend nötig ist. Außerdem hat sie wohl weitgehend frei zugängliche Texte für ihre Recherchen verwendet. Die Website der Grünen etwa, Wikipedia oder Unterlagen von amerikanischen Behörden. Aussagen, die nicht nur frei im Internet zugänglich sind, sondern zumeist auch ganz allgemeine Aussagen zum Klimawandel sind, die in keiner Weise eine urheberrechtlich schützenswerte Höhe haben.

 

Als Anwalt wurde Christian Schertz eingeschaltet, der auch selbst sagt: "Ich kann nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung erkennen, da es sich bei den wenigen in Bezug genommenen Passagen um nichts anderes handelt als um die Wiedergabe allgemein bekannter Fakten sowie politischer Ansichten"

 

https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-06/gruenen-kanzlerkandidatin-annalena-baerbock-buch-plagiat

 

Bei Baerbock wird aber alles gegen sie ausgelegt. Dass das einen Kampagnencharakter hat, ist meines Erachtens schon mehr als offensichtlich. Wer dahinterstecken könnte, sieht man eventuell an der erwähnten Anzeigenkampagne. Sie wurde von der INSM finanziert und es würde mich nicht wundern, wenn die einen Plagiatsprofi wie Weber beauftragt.

 

Wir werden es vielleicht nie herausfinden. Aber mal ehrlich, wer sich mit dem Gedanken trägt, die Grünen zu wählen, sollte sich davon nicht abhalten lassen. Frau Baerbock ist Kanzlerkandidatin, sie ist nicht die Partei. Wenn sie sich falsch verhält, wird sie als Person dafür zur Rechenschaft gezogen. Jeden Fehler gegen sie und ihre Partei zu verwenden, ist aber Kindergartenniveau. So wird ein Versprecher wie Kobold statt Kobalt dann ganz schnell mal zu einem politischen Instrument gegen eine Kandidatin, gegen die man sonst nichts findet.

 

Das meiste, was man gegen Baerbock vorbringt, hält einer näheren Überprüfung nicht stand und vieles andere wird maßlos übertrieben. Und das oft von Personen, die selbst in ihrer politischen Karriere alles andere als vorbildlich aufgetreten sind. Sollte diese Rufmordkampagne den Ausgang der Wahl beeinflussen, wäre das bitter.

 

Weitere vier Jahre orientierungslosem Herumtaumeln unter Finanzierung von Lobbys, die lieber den Status Quo erhalten wollen, bringt uns jedenfalls auch nicht weiter.